Eine Geschichte über eine seltsame Bäumerin.


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Das ist eine Geschichte über eine seltsame Bäumerin.


Es ist ein Geheimnis, aber...

sie befand sich bereits etwa vierzig Zentimeter links von ihrem Geburtsort.

Wie war das möglich?

Sie hatte keine Wurzeln, obwohl sie ein Baum war.
Sie bemerkte auch lange nicht, dass sie keine Wurzeln hatte. Als sie zum ersten Mal geboren wurde, war neben ihr ein großer alter Baum, dessen Schatten ihre Photosynthese behinderte und sie wuchs deswegen nur sehr langsam. Es nervte sie ein bisschen, weil sie schneller wachsen wollte, um den Himmel zu sehen.

An einem gewöhnlichen Tag versuchte sie wie üblich, den Schatten des großen Baumes zu meiden und krümmte ihren Stamm mit aller Kraft in Richtung des Sonnenlichts, um das Licht zu empfangen.

Und dann ging plötzlich ein Ruck durch ihren Körper und sie bemerkte, dass sie sich leicht zur Seite bewegt hatte.

Es war eine große Entdeckung für sie selbst. Sie war sehr überrascht. Sie dachte, es könne eine Einbildung sein. Deswegen bewegte sie sich nochmals nach links, um herauszufinden, ob es ein Irrtum war.

Aber es war wahr. Sie hatte sich bewegt. Bald stand sie nicht mehr im Schatten.

Seitdem bewegte sie sich weiter sehr langsam nach links. Es geschah sehr heimlich, sodass es niemandem auffallen konnte. Natürlich hatte sie noch nie von beweglichen Bäumen gehört und sie wusste instinktiv, dass dies ihr Geheimnis bleiben sollte.

Also veränderte sie ihre Position jedes Mal wenn der Wind wehte. Immer nur einen Zentimeter.

Der alte Baum neben ihr war stumpfsinnig, sodass er nicht bemerkte, wie sie sich langsam von ihm entfernte.

Es gab eigentlich keinen besonderen Grund, warum sie sich ständig nach links bewegte. Sie bewegte sich einfach, weil sie sich bewegen konnte, und plötzlich bemerkte sie, dass sie keine Wurzeln hatte, und so ging sie noch weiter nach links.

Wenn sie sich immer weiter bewegen würde, könnte sie vielleicht eines Tages von diesem Ort weggehen und in einer völlig anderen, neuen Umgebung eine Bäumerin sein.

Sie könnte auch ganz woanders leben als hier: Wenn sie sich weiter bewegen würde, könnte sie jedoch auch an einer lauten und schmutzigen Straße ankommen, jemand könnte an ihren Baumstamm Müll oder Zigarettenkippen hinwerfen, oder sie könnte lautes Autogehupe hören anstelle von Vogelgezwitscher.

Vielleicht könnte sie auch unglücklicherweise von der Forstwirtschaft abgeholzt und in Sekundenschnelle abgesägt werden.

Ich weiß nicht, wohin sie gehen will oder warum sie sich bewegt.

Alles, was ich weiß ist, dass sie nicht aufhören wird, sich weiter zu bewegen.









Die zweite Geschichte eines seltsamen Baumes.


Eines Tages traf sie einen anderen alten Baum am Waldrand. Er sprach sie an.

"Du bist ein Baum, der sich bewegen kann, oder?"

Lange hatte das niemand bemerkt. Deswegen war sie ziemlich überrascht, dass er ihre Identität entdeckt hatte.

Er begann ihr eine Geschichte zu erzählen: Es war einmal, also vor sehr, sehr langer Zeit, da gab es mehr Bäume, die sich bewegen konnten. Zur damaligen Zeit breitete sich weltweit eine Infektionskrankheit aus und die Menschen mussten alle zu Hause bleiben.

Ein Mann, der nichts zu tun hatte zu Hause, schaute den ganzen Tag aus dem Fenster. Er bemerkte eines Tages, dass sich der Apfelbaum in seinem Garten um etwa dreißig Zentimeter zur Seite bewegt hatte.

Er dachte zuerst, dass er nun letztendlich verrückt geworden sei, weil er ja über eine so lange Zeit hinweg nur zu Hause geblieben war. Es ist absurd, sagte er sich, dass sich der Baum bewegen kann. Er zweifelte an seiner Wahrnehmung, deswegen beaufsichtigte er den Baum drei Monate lang sehr sorgfältig.
Als der Baum dann schlussendlich am Gartentisch ankam, schickte der Mann einen Bericht zu einer Fernsehsendung.

Der Programmdirektor des Programms schaute sich ebenfalls etwa drei Monate lang den Baum an und als der Baum schließlich vor der Haustür ankam, sendete er daraufhin eine Sendung mit dem Titel : DAS PASSIERT IN DER WELT : SELBSTBEWEGENDE BÄUME ENTDECKT.

Die TV-Show mit diesen besonderen Neuigkeiten war ein großer Erfolg. Die Welt war so begeistert und der Baum des Hauses wurde über Nacht ein Star.
Mehrere Fernsehsender aus aller Welt kamen zu dem Haus, um über den Baum zu berichten. Sie sendeten die Nachrichten über den Baum über einen Zeitraum von einigen Monaten. So konnten sie die Bewegungswege des Baumes über die Zeit hinweg dokumentieren und damit die Tatsache, dass er sich tatsächlich bewegen konnte, beweisen.

Aber der Baum war dann irgendwann doch nicht mehr so besonders. Er bewegte sich zu langsam und zu langweilig. Und außerdem fanden dann plötzlich viele Menschen an vielen Orten bewegte Bäume.
Es gab einige Bäume, die innerhalb von ein paar Tagen in einem anderen Garten gefunden wurden.
Das war zu viel für die Menschen. Diese beweglichen Bäume gingen ihnen gegen den Strich. Sie installierten verschiedene Geräte, die die Bäume am Weglaufen hindern sollten.

Später wurden diese Geräte perfektioniert, serienweise hergestellt und verkauft, um die Bäume wie an einer Hundeleine im Garten anketten zu können. Sogar die Umweltschützer sprachen sich gegen die Bewegung der Bäume aus, da manche Pflanzen, die zu Hause aufgezogen worden waren, plötzlich verschwanden und sich alsbald in Nachbarstaaten wiederfanden.

Eines anderen Tages, als ein großer Baum sich bewegte, zerkratzte er das neben der Straße parkende Auto.

Die Bäume machten oft die Straßen schmutzig, weil sie beim Sich-Bewegen die Mülleimer am Straßenrand umstießen. So passierten immer wieder viele kleine, zerstörerische Dinge. Es waren keine wirklich schlimmen Unfälle und es wurden auch keine wirklichen Probleme dadurch verursacht, aber die Menschen, die wegen der Infektionskrankheit schon gestresst und empfindlich waren, mochten die beweglichen Bäume nicht. Diese Bäume wurden zu den schwarzen Schafen der Welt.

Jemand fällte sofort den Baum in seinem Garten, den er zehn Jahre lang selber aufgezogen hatte, weil er begann, sich zu bewegen. Er brachte ihn um, stellte aus ihm Holzscheite her und nutzte sie zufrieden beim Grillen.

Die Beschwerden nahmen zu, da sich nicht nur die Hauspflanzen und Hausbäume in Bewegung setzten, sondern auch die Bergbäume damit anfingen.
Die Menschen konnten nicht jeden Baum einzeln verwalten, also wurde ein sehr starkes Wurzelanreizmittel erfunden, damit alle Bäume tiefe Wurzeln ausbildeten, um sich dann auf den Flächen anzusiedeln. Es hatte sich nämlich herausgestellt, das die beweglichen Bäume keine Wurzeln hatten.
(Es wurde gesagt, dass mit dem ersten beweglichen Baum im Labor herumexperimentier wurde und dass das Leben des Baumes dann dort endete.)

Der Boden, auf dem das Wurzelanreizmittel verabreicht wurde, machte die Wurzeln der Bäume stärker und ließ sie schneller wachsen und schließlich verschwanden die beweglichen Bäume langsam.
Aber niemand weiß genau, ab wann und warum sich die Bäume plötzlich bewegt hatten. Und es ist schon so lange her, dass es keinen einzigen Menschen mehr auf der Erde gibt, der weiß, dass damals dieses sensationelle Ereignis passierte.




Die dritte Geschichte von Bäumen, die seltsam waren, aber jetzt nicht mehr seltsam sind.


Als die Bäumerin die Geschichte hörte, war sie ein bissen traurig, aber sie war erstaunt, dass es schon früher Bäume wie sie gab.

Da sie auf dem Berg wohnte, konnte sie auch jede Menge Nachrichten aus aller Welt hören. Viele Dinge geschahen auch im Wald, in dem sie lebte, und sie schnappte manchmal durch den Wind, durch die Vögel und Insekten unterschiedliche Neuigkeiten auf, die sie verwunderten.

Aber sie hatte noch nie etwas über einen sich bewegenden Baum gehört. Dieser alte Baum sagte, er konnte sich ebenfalls schon einmal bewegen. Er stand ursprünglich im Botanischen Garten, wo er geboren und aufgewachsen war.

Ihm fehlte es an nichts und er konnte sich nicht beklagen, die Temperatur und die Feuchtigkeit war zu allen vier Jahreszeiten perfekt. Er wurde immer mit guten Nährstoffen gepflegt, sodass seine Blätter immer grün waren und wunderbar glänzten. Er erinnerte sich an seinen ersten Schritt, der unerwartet passiert war. Er bemerkte, dass er riesige Schritte machen konnte. Er war deswegen sehr ausgelassen und bewegte sich mehrmals in großen Schritten. So entfernte er sich in der Nacht sehr weit weg von dem Botanischen Garten.

Am nächsten Tag bemerkte ein Mitarbeiter, dass der Baum aus dem Botanischen Garten verschwunden war. Die Polizei durchsuchte die ganze Stadt, um ihn zu finden, aber leider konnten sie ihn nicht finden, weil er schon zu weit gekommen war.

Er sagte zu ihr, dass er mit seinen vielen Bewegungen sehr weit gekommen sei und eine lange Zeit reiste, und dass er dann wegen der massiven Wurzelförderungskampagne hier angekommen sei.

Wahrscheinlich gab es in dieser Gegend keinen Baum, der schon so lange lebte wie er. Glücklicherweise stellte sich heraus, dass dieser Ort, an dem er zwangspositioniert wurde, für ihn sehr geeignet war. Er meinte, dass er sonst an einem anderen Ort bestimmt abgesägt oder kleingehackt worden wäre und als Brennholz hätte sterben können.

Er war seit seiner Geburt immer ein glückllicher Baum.

Sie dachte, wenn sie sich nicht bewegt hätte, hätte sie bis zu ihrem Tod nichts von der Geschichte des sich bewegenden Baumes erfahren, also fühlte sie sich auch glücklich.

Und sie war neugierig, ob es noch andere sich bewegende Bäume gab, und sie wünschte sich, diese Bäume zu treffen.

Und sie fragte ihn auch, ob er von den anderen sich bewegenden Bäumen noch den einen oder anderen kenne oder ob er jemals nochmal versucht hätte, sich noch einmal zu bewegen. In seiner Zeit, als sich viele Bäume bewegen konnten, konnte er durch viele Reisen andere Bäume treffen und kennenlernen. Obwohl es viele sich bewegende Bäume gab, war es doch etwas besonderes für die Bäume. Deshalb gab es auch viele Bäume, die neidisch oder eifersüchtig waren.
Wenn ein neuer sich bewegender Baum in ihren Wald kam, warfen sie ihn deshalb heraus und kämpften sogar mit ihm.

Aber als die Zeit der Wurzelförderungsmittel vorbei war und sie sich alle zusammen nicht mehr bewegen konnten, kamen die Bäume, die eifersüchtig gewesen waren, wieder zur Ruhe. Vielleicht waren es aber auch für Bäume die ersten Gefühle, die sie in ihrem Leben hatten.

Der alte Baum sagte, dass er seit langer Zeit unbeweglich sei und er darüber hinaus kein besonderes Interesse an einer Wanderung habe. Also, sagte er, er müsse nicht herausfinden, ob er sich bewegen könne oder nicht. Er war mit der aktuellen Umgebung zufrieden und würde den Rest seines Lebens hier verbringen. Er würde also hier bleiben, auch wenn er umziehen könnte.

Sie war neidisch auf ihn, weil er so viel Erfahrung hatte. Gleichzeitig bekam sie Angst, dass ihr etwas zustoßen könnte. Ihr Leben im Wald war ziemlich friedlich, nur wenn ein Sturm käme, könnte es sein, dass sie dadurch einige Blätter verlieren würde. Das wäre schlecht. Aber die Blätter würden wieder wachsen.
Als sie noch starke Wurzeln hatte, verlief bei dem letzten Taifun alles ereignislos. Sie hatte damals keine Verletzungen.

Sie fragte sich, wann ihre Wurzeln angefangen hatten, zu verschwinden. Plötzlich begann sie, wegen ihrer Neugier und Angst, Fragen zu stellen, die sie vorher nicht hatte. Und es gab auch einige Entscheidungen, die sie vorher nie treffen musste.
Sie musste sich entscheiden, ob sie hier nun aufhören oder weitergehen sollte. Jetzt hatte sie auch darüber nachgedacht, ob sie sich selbst überhaupt als Baum bezeichnen könnte. Jedenfalls wusste sie nicht, warum das alles passierte. Aber sie wollte sich bewegen, einfach weil sie sich bewegen konnte. Wenn es dann eine falsche Entscheidung wäre, wenn es ein falscher Weg wäre, dann wäre ihr es egal.

Und dann dachte sie: Wie nennt man diese Bewegung? Sich ohne Zweck bewegen. Die Menschen nennen das Spaziergang. Dann sollte sie auch spazieren gehen und wieder einen Schritt nach links gehen.





*Die Kurzgeschichte wurde als Flyer produziert und so ausgelegt, dass der Besucher ihn mitnehmen und so die Geschichte bewegen konnte.